Tallinn-Hannover:
die skandinavische Route
Die nördliche Reiseroute durch Finnland, Skandinavien, Dänemark und Norddeutschland zählt zu den seltener bereisten Strecken nach Tallinn. Der Grund mag in dem Umstand liegen, auf mindestens zwei Schiffspassagen und einen weiten Landweg entlang des bottnischen Meeresbusen angewiesen zu sein – ein Weg, der über 1.000 Kilometer länger ist als die Route entlang der südlichen Ostseeküste. Dennoch haben Reisende diesen Weg explizit als Reise durch die nördlichen Länder Europas immer wieder gewählt, um Städte wie Turku, Kopenhagen und Stockholm zu besuchen.
Die Reise durch die Kartenblätter beginnt mit einer alten anthropomorphen Karte Europas und geht über zu einer Karte, die, dreihundert Jahre später gedruckt, den Ostseeraum neugierig für ein Bildungsbürgertum illustriert. Die nachfolgenden Detailkarten präsentieren die geographische Neugier und das politische Geschehen ihrer Entstehungszeit. Die Reise durch die Kartenblätter endet in den Stadtplänen der königlichen Residenzstadt Hannover, der heutigen Landeshauptstadt. Abschließend werden Highlights des hannoverschen Kulturraums vorgestellt, darunter die Stadt Hildesheim mitsamt dem Weltkulturerbe Hildesheimer Dom und St. Michaelis sowie das Schloss Herrenhausen und die Rattenfängerstadt Hameln.
„Das Dampfschiff war sehr besetzt, es mochten gegen 200 Passagiere seyn. Die meisten derselben waren speciell sogenannte „Lustreisende“. Darunter versteht man in Reval und Helsingfors diejenigen, welche am Sonnabend per Dampf nach Helsingfors kommen, um sich dort einen schönen Sonntag zu machen, und am Montag nach Reval per Dampf zurückfahren.“
Aus: Das Ausland. Wochenschrift für Erd- und Völkerkunde. Band 25 (1852), Nr. 5, S. 19.

Europa
In: Münster, Sebastian: Cosmographey, das ist Beschreibung Aller Laender, Herrschafften und fuernehmesten Stetten des ganzen Erdbodens. Basel: Henricpetri, 1598.
Holzschnitt, 17 x 26 cm
Station 1
Im Jahr 1537 veröffentlichte der Tiroler Johannes Putsch die erste anthropomorphe Karte, auf der eine gekrönte weibliche Figur den Umrissen Europas angepasst ist. Putsch lebte im Umkreis von Kaiser Ferdinand I. Ab 1588 erschien die Karte der Königin Europa auch in den Auflagen von Sebastian Münsters „Cosmographey“. In seiner Weltbeschreibung betonte Münster die Überlegenheit Europas gegenüber Asien, Afrika und Amerika.
Station 2
Diese sehr anschauliche Übersichtskarte der Ostsee aus dem Jahr 1856 entstammt der Illustrated London News, einer Zeitschrift, die sich insbesondere an das Bildungsbürgertum richtete und als solche überaus erfolgreich war. Mit ihrem Schwerpunkt auf bildlichen Darstellungen des Weltgeschehens, z.B. Kriegszeichnungen und Abbildungen von Katastrophen und Großereignissen, prägte sie maßgeblich das Weltbild der Öffentlichkeit des 19. Jahrhunderts. Gemäß dem illustratorischen Ansatz der Zeitschrift ist die Karte mit zahlreichen Abbildungen der Haupt- und wichtigsten Hafenstädte und Residenzen sowie Stadtplänen und Wappen geschmückt.

Picture Map of the Baltic Sea
Aus: The Illustrated London News, Supplement May 31, 1856
Lithografie, 50 x 77 cm

Tabula exactissima Regnorum Sueciæ et Norvegiæ nec non Maris Universi Orientalis, Terrarumque adiacentium
[Erscheinungsort unbekannt], [1658?]Kupferstich ; 43 x 53 cm
Station 3
Diese Karte Skandinaviens, die wohl auf einer bei Jodocus Hondius erschienenen Karte basiert, fällt wegen der spitz zulaufenden Form Finnlands auf und unterscheidet sich damit von gleichnamigen Karten des schwedischen Kartografen Anders Bure, der wesentliche Beiträge zum Vermessungswesen in Schweden leistete. Die Titulatur des schwedischen Königs Gustav Adolf als König der Goten und Vandalen sowie Landesherr über Finnland, Estland, Karelien und Ingermanland veranschaulicht das aus dem Geist des Gotizismus herrührende Verständnis als historisch legitimierte Großmacht, womit der König seine aggressive Expansionspolitik ideell untermauerte.
Station 4
Diese Karte zeigt Teile des südlichen Finnlands, genauer gesagt die historische Provinz Nyland (finnisch: Uusimaa) mit Umland, am Vorabend der Abtretung dieser Gebiete an Russland (1809) infolge des Finnischen Krieges. Die nicht kolorierten Gebiete im Südosten (jenseits des Flusses Kymijoki/Kymmene älv) wurden bereits 1743 im Frieden von Åbo an Russland abgetreten. Infolge des Großen Nordischen Krieges verlagerte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Vorherrschaft im östlichen Ostseeraum allmählich von Schweden hin zu Russland; Südfinnland war zwischen beiden Mächten ein besonders umstrittenes Territorium.

Charta öfwer Nylands och Tavastehus samt Kymmenegårds Hoefdingedoemen
Kartographen/Stecher/Verleger: C. P. Hällström
Stockholm, 1798
Kupferstich, 56 x 61 cm

Charta öfwer Storfurstendömet Finland
Kartographen/Stecher/Verleger: C. P. Hällström
Stockholm, 1799
Kupferstich, 53 x 57 cm
Station 5
Diese noch in schwedischer Zeit entstandene Karte zeigt das spätere Großfürstentum Finnland, das sich nach der Abtretung Finnlands an das Russische Reich 1809 bildete und mit weitgehender innerer Autonomie versehen war. Die bereits 1721/1743 an Russland abgetretenen und in das neu entstandene Großfürstentum Finnland angegliederten Gebiete („Altfinnland“) sind auf der Karte auch dargestellt, wurden bei der anschließenden Kolorierung jedoch nicht berücksichtigt.
Station 6
Diese Karte der beiden schwedischen Provinzen Gästrikland und Hälsingland ist im Stile einer Inselkarte gehalten, d.h. die umliegenden Provinzen (höfdingedöme) wurden nicht kartiert. Die genannten Provinzen befinden sich unmittelbar nördlich des alten schwedischen Herrschaftszentrums um Stockholm und Uppsala und fungierten als Tor zum Norden. Diese Region erlitt in der Endphase des Großen Nordischen Krieges besonders starke Verwüstungen durch russische Kriegsaktivitäten.

Charta öfver Gästrikland och Hellsingland
Kartographen/Stecher/Verleger: F. A. U. Cronstedt
Stockholm, 1796
Kupferstich, 59 x 55 cm

Dania Regnum In quo sunt Ducatus Holsatia et Slesvicum Insulæ Danicæ et Provinciæ Iutia, Scania, Blekingia et Hallandia
Kartographen/Stecher/Verleger: Justuts Danckerts
Amsterdam, 1680
Kupferstich, 48 x 57 cm
Station 7
In der Frühen Neuzeit war Dänemark im westlichen Ostseeraum eine regionale Mittelmacht. Die Karte aus dem Hause des niederländischen Verlegers Justus Danckerts veranschaulicht die geopolitische Bedeutung Dänemarks als Scharnier zwischen dem kontinentalen Mitteleuropa und Skandinavien einerseits und zwischen dem Ostsee- und Nordseeraum andererseits. Für Handel und Schifffahrt war insbesondere der Öresund-Zoll von Bedeutung. Mit dem Frieden von Roskilde 1658 wurden jedoch die östlich des Öresunds gelegenen Provinzen Schonen, Blekinge und Halland an Schweden abgetreten, so dass der Öresund internationales Gewässer wurde.
Station 8
Auch diese Karte von Dänemark stammt aus einem bedeutenden niederländischen Verlagshaus des Goldenen Zeitalters (Frederik de Wit) und stellt das dänische Königreich noch mitsamt seiner später schwedischen Provinzen Schonen, Blekinge und Halland dar. Es handelt sich hierbei um die erste Karte überhaupt, die der Verlagsgründer Frederik de Wit publizierte. Der gegenüber der Danckerts-Karte geringeren topographischen Detailliertheit stehen zahlreiche dekorative Elemente sowie die Kolorierung gegenüber.

Perfeckte Kaerte van ‚t Coninckryck Denemarcken
Kartographen/Stecher/Verleger: Frederick de Wit
Amsterdam, 1689
Kupferstich, 43 x 53 cm

Plan der Königlich-Chürfürstlichen Residenz-Stadt Hannover : im Fürstenthum Calenberg am Leine-Fluss belegen, unter 52°, 22′, 18″ Nördlicher Breite und 9°, 50′ Ostlicher Länge von London: nebst allen Veränderungen und Verbesserungen, welche nach der Demolition der Vestungswercke vom Jahre 1780 bis 1800, entstanden
Kartographen/Stecher/Verleger: J. F. Saltzenberg, Johann Ludwig Hogreve
Hannover, 1800
Kupferstich, 29 x 49 cm
Station 9
Ab den 1780er Jahren wurde mit dem systematischen Schleifen der ehemaligen sternförmigen Befestigung der Stadt Hannover begonnen. Die bis zu acht Meter hohe Befestigung mitsamt Schanzen, Bastionen und Wassergräben hatte ihren Ursprung im Mittelalter und wurde zuletzt noch während des siebenjährigen Krieges ertüchtigt. Durch das Schleifen der Mauer gewann die wachsende Residenzstadt des Kurfürstentums Hannover Platz. Die Mauer hatte eine Länge von 2,8 Kilometern. An ihrer freien Fläche wurden Baumalleen und Straßen angelegt, die in den Reiseberichten der Zeit als besondere Zierde der Stadt gesehen wurden. Der hier vorliegende Stadtplan weist all jene Gebäude nach, die zum Repräsentationsprogramm der in London das Kurfürstentum Hannover und das britische Königreich in Personalunion regierenden Welfen gehörten. Neben dem Stadtschloss mitsamt der Schlosskirche sind diese Hotspots der welfischen Repräsentation insbesondere der auf hohem Niveau geführte Marstall, hier in der Karte als „des Königs Pferde-Ställe“ geführt, das außerhalb des Kartenbildes mit einer großen Allee verbundene Sommerschloss Herrenhausen mitsamt dem barocken Garten und die Königliche Bibliothek, die im Archivgebäude stand und für Besichtigungen und Nutzung im 18. Jahrhundert geöffnet wurde. Aus ihr ist die heutige Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek hervorgegangen, die in der Tradition des 1737 gegründeten Pflichtexemplarrechts dieses auch heute noch für das Land Niedersachsen wahrnimmt.
Station 10
Der Verlag der Gebrüder Jänecke aus Hannover gab bereits im Jahr 1847 einen der bekanntesten Reiseführer über die Stadt Hannover heraus. In ihm werden die besonderen Highlights der Residenzstadt des Hannoverschen Königreichs, das bis in das Jahr 1837 in Personalunion mit dem Königreich Großbritannien regiert wurde, gezeigt und dargestellt. Auf der 1856 gedruckten Lithografie werden neben einem detaillierten Stadtplan und einem weiteren Umgebungsplan auch zentrale Gebäude genannt, die damals wie heute das Stadtbild Hannovers prägen. Das Alte Rathaus mitsamt der Marktkirche im Stil der Norddeutschen Backsteingotik sind in den Außenrändern ebenso abgebildet wie der in Erinnerung an die Schlacht von Waterloo im 19. Jahrhundert errichtete Waterlooplatz, der ehemals ein militärischer Exercierplatz war und heute vom Regierungs- und Verwaltungsbezirk der Stadt Hannover umgeben ist. Einige der abgebildeten Gebäude erfüllen heute andere Aufgaben: das königliche Hoftheater enthält heute die Staatsoper Hannover, das Welfenschloss ist nun ein Teil der Leibniz-Universität und das Schloss Herrenhausen wurde im Jahr 2012 nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg als Museums- und Veranstaltungsort neu erbaut, eingebettet im historischen Barockgarten. Das in der Innenstadt gelegene Königliche Schloss, bekannt als Leineschloss, ist heute Sitz des niedersächsischen Parlaments.

Die Königl. Haupt- und Residenz-Stadt Hannover mit ihren Umgebungen,
Kartographen/Stecher/Verleger: Jänecke,
Hannover 1856,
Lithografie, 41 x 35 cm